Kunst- & Kulturveranstaltungen in München
Einen Monat nach seinem 90. Geburtstag konzertiert der Unermüdliche in den Kammerspielen
26.11. um 20:00
Therese-Giehse-Halle (bestuhlt)
Ihn als Musiker zu bezeichnen, greift zu kurz. Und das hat viel mit seiner bewegten Biographie zu tun. Hans-Joachim Roedelius ist zum Klangmaler berufen: Seine akustischen Landschaften, seine Porträts, seine gefühlvollen und erzählerischen musikalischen Farbtupfer bleiben nach all den Jahren unerreicht. Eine treue Fangemeinde umfasst drei Generationen, denn sein Einfluss auf viele Musikrichtungen ist immens. Er ist einer der Urväter dessen, was unter Musikfans als Krautrock bezeichnet wird. Unzählige Musikproduktionen hat er inspiriert: Zu seinen Fans zählen die Red Hot Chili Peppers, Julian Cope, Stereolab, Lloyd Cole und Brian Eno.
Was viele nicht wissen: In den späten 1930er Jahren war er Kinderstar in UFA-Filmen, aber nur für kurze Zeit. Nach dem zweiten Weltkrieg wird er zwangsrekrutiert von der DDR-Volksarmee. Und desertiert. Nach kurzem Aufenthalt in der BRD wird er — von der STASI zurück in die DDR gelockt — der Spionage bezichtigt. Es folgen zwei Jahre Schwerstarbeit in einem Kohlebergwerk. Ein Jahr vor der Errichtung der Berliner Mauer geht er nach Westberlin. Dort sucht er Orientierung und verdient sich den Lebensunterhalt unter anderem als Gärtner, Müllmann und Masseur. Das Leben hat lange gebraucht, einen Künstler aus Hans-Joachim Roedelius zu formen. Als die Westberliner Szene sich aufmacht, alle Konventionen aufzulösen, ist er dabei: Das Unerlernte, Ungeübte, das Atonale und Rohe wird zum Fixpunkt einer neuen Ästhetik, die das Bürgerliche ablehnt. Und Roedelius wird zu einem der wichtigsten Künstler, der westdeutschen Gegenkultur der 1960er.
An zahlreichen Abzweigungen der jüngeren Musikgeschichte ist er allgegenwärtig: Er wirkt als Schlüsselfigur bei der Geburt von Genres wie Kosmische, Krautrock, Synth Pop und Ambient. Er ist Mitbegründer des einflussreichen Zodiak Free Arts Lab (1967). Und Gründungsmitglied verschiedener Gruppen: Human Being, Kluster, Cluster, Harmonia, Tempus Transit und Lunzprojekt. Alle gelten heute als legendär.
Seine Duette mit Dieter Moebius als Cluster – vom Chicago Tribune als „bestgehütetes Geheimnis der Musik des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, sind gnadenlos unkommerziell und faszinieren bis heute. Seine Soloalben suchen die unwahrscheinliche Versöhnung mit der Vergangenheit. Und hinter all den Bergen aus Referenzen, Stilen und Namen schält sich immer wieder eine schlichte, manchmal traumwandlerische Melodieführung hervor. Seine Melodien werden zur Roedelius-Signatur. Sie tragen zur Menschwerdung der Elektronika bei und machen seine Musik so bildhaft. Und auch wenn dieses Wort so viel bemüht wurde: Die Musik von Hans-Joachim Roedelius ist einfach wunderschön.
Über die Jahrzehnte wirkt er an rund 160 Plattenproduktionen mit, entweder als Solist oder mit Bandprojekten. Etwa 1600 musikalische Werke gehen auf seinen Namen, dazu eine ähnliche Anzahl von Texten. Roedelius komponiert Musik für Tanztheaterproduktionen, Oratorien, Hörspiele, Sinfonien. Er ist Kulturpreisträger in seiner Heimatstadt Baden bei Wien, Stipendiat der Wiener Alban-Berg-Stiftung. Ehrenpräsident des Moving Culture Festivals in Tirana, Albanien, Ehrenmitglied der Happy Valley Foundation in Ojai. Kalifornien, künstlerischer Leiter des Symposiums und Festivals More Ohr Less in Lunz am See, Österreich. Und über die Jahrzehnte arbeitete er leidenschaftlich gern zusammen mit Künstler:innen aus aller Welt, u.a. Brian Eno, Holger Czukay, Conrad Plank, Susumu Hirasawa, Tim Story, Dieter Moebius, Michael Rother, Stefan Schneider, Christopher Chaplin und Christoph Müller (Gotan Project).
Wenn er nun die Bühne der Kammerspiele betritt, ist Hans-Joachim Roedelius seit genau einem Monat 90 Jahre alt. Und auch wenn das Publikum in diesem Moment zurückblickt auf ein außergewöhnliches Leben — Hans-Joachim Roedelius wird nur nach vorn schauen, da sind wir uns sicher.
Foto (c) Alexander Gonzales
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